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Imperialismus

Israel/Palästina: Es lebe der Internationalismus

Von Raoul Hamlet

Am 7.10. begann die den Gazastreifen beherrschende Hamas, eine einst mit israelischer Hilfe gegründete islamistische Organisation, um Fatah und die palästinensische Linke zu schwächen, ihre „Al-Aksa-Flut“ genannte Aktion in Israel, die, da wahllos und willkürlich gegen die Zivilbevölkerung gerichtet, aus diesem Grund allerdings eine genuin terroristische ist. Als solche ist sie auch barbarisch und menschenverachtend.

Dennoch steht sie im einem Kontext und hat eine Vorgeschichte.

Beide werden, ähnlich wie beim Ukraine-Krieg (= dem Krieg der NATO gegen Russland auf ukrainischen Boden und zu Lasten der ukrainischen Bevölkerung) in den westlichen Medien aktuell weitgehend ausgeblendet und verschwiegen.

Der Kontext und die Vorgeschichte des jetzigen Konflikts bilden die Leidensgeschichte des palästinensischen Volkes, die seit 1948 anhält, voller willkürlichen Entrechtungen, Vertreibungen, Verhaftungen, Ermordungen. Und immer wieder Krieg, im Gaza vielfach allein seit 2008.

Die Ursache des Konflikts liegt jedoch genau in dieser Entrechtung und völkerrechtswidrigen Besatzung.

Auch hier werden, wie in der Ukraine, Ursachen und Folgen vertauscht. Israel bricht seit Jahrzehnten Recht und hält sich an keine der vielen UN-Resolutionen. Der Westen übt jedoch diesbezüglich auch keinerlei Druck auf Israel aus.

In all den Jahren wurde so versäumt, eine politische Lösung zu suchen und das Existenzrecht der palästinensischen Bevölkerung, auch auf einen eigenen existenzfähigen Staat, immer wieder negiert. Ein Recht, das Israel selbstverständlich zuerkannt, den Palästinensern jedoch vorenthalten wird. Insofern ist der Westen auch mitschuldig an den Toten, die es jetzt bedauerlicherweise auf beiden Seiten gibt.

Terroristische Mittel sind stets die der Schwäche, in diesem Fall einer Bevölkerung und ihrer Milizen, gegen die die stärkste Militärmacht des Nahen Osten steht.

Israels Strategie, eine in regelmäßigen Abständen massive Gewaltanwendung gegen Gaza, gepaart mit der weiteren Enteignung und Wohnraumzerstörung und anschließender Landnahme im Westjordanland, also physische Gewalt ohne jedes lösungsorientierte politische Konzept, der auch vor der Bombardierung von UN-Gebäuden nicht Halt macht, dieser Staatsterrorismus, könnte nun zu einem blutigen Abschluss gebracht werden: Indem die Regierung zum alles entscheidenden Schlag ausholt, wird die Zweistaatenlösung für immer begraben und die palästinensische Frage unter Inkaufnahme vieler Opfer endgültig zu lösen versucht.

Dem furchtbaren Massaker wird eines in ganz anderen Dimensionen folgen: „Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Es gibt keinen Strom, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend“, sagte der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant nach einer Lagebeurteilung der Streitkräfte1.

Die derzeitige israelischen Regierung ist politisch äußerst weit rechts stehend. Dass diese Regierung keine Frieden will, hat sie tagtäglich über einen längeren Zeitraum bewiesen. In den letzten Monaten sah sie sich einer starken innerisraelischen Protestbewegung gegenüber. Diese ist nun gelähmt, die nationale Einheit durch die Reaktion auf den äußeren Feind vorerst wiederhergestellt.

Medien sprechen bereits vom 9-11 Israels. Dass der Mossad als einer der fähigsten Geheimdienste von der Planung dieses massiven Angriffs der palästinensischen Kommandos auf israelisches Gebiet, die eine der bestbewachtesten, auch mit High-Tech-Mitteln, Grenzen der Welt überschreiten mussten, nichts mitbekommen haben soll (oder die aus Ägypten stammende Warnung, sei es aus Hybris oder nicht2, nicht ernst genommen hat), weist in die Richtung, dass hier möglicherweise eine Gelegenheit benutzt wird, um eine zuvor geplante Politik mit äußerst brachialen Mitteln durchsetzen zu können.

Innenpolitisch wird hierzulande versucht, darin besteht eine weitere Parallele zum Ukrainekrieg, die Seite der Kriegsgegner möglichst weitgehend zu denunzieren, wenn nicht deren Aktionen gleich zu verbieten. Letztlich handelt es sich um eine absolute Verengung des zugelassenen Meinungsspektrums zum Nahostkonflikt und damit einhergehend um die weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit (so ist auch gar nicht mehr davon die Rede, gegen „antisemitische“ Äußerungen vorzugehen, sondern gegen „antiisraelische“3).

Dabei schlägt die zur ideologischen Verschleierung imperialistischer Interessen vorgebrachte herrschende Moral hierzulande besondere Kapriolen: Hier auf Grund des Holocaust-Vermächtnisses die bedingungslose und unhinterfragbare Solidarität mit Israel, egal wie viele Völkerrechtsbrüche Israel auch begeht, in der Ukraine Unterstützung von Nazibrigaden wie Asow mit Waffen und die Umlügung antirussischer Judenmörder und Banderisten als „nichts antisemitisch“4 seitens der Bundesregierung5.

Die vage Hoffnung ist nun, dass der Rest der Welt – US-Lakaien ausgenommen –, wie schon gegen Russland eine solche Politik nicht gutheißen wird. Die Kräfteverschiebung, die durch die BRICS entstanden ist, verschafft den Völkern auch die Möglichkeit, sich kritischer zur Rolle des US-Imperialismus und seiner Vasallen zu verhalten.

Eine wirkliche und dauerhafte Lösung des Konflikts im Sinne der Menschen, Palästinenser und Israelis, die beide in Frieden, Sicherheit und frei von Fremdbestimmung leben möchten, kann allerdings nur entstehen, wenn die Gewalt auf beiden Seiten gestoppt wird, Israel sich, verstärkt durch internationalen Druck, aus dem besetzten Gebieten zurückzieht und endlich ein lebensfähiger palästinensischer Staat entstehen könnte. Die Aussicht darauf wird mit jedem Tag des aktuellen Vorgehens immer geringer. In Deutschland wären linke Kräfte schon bedeutend weiter, wenn sie sich, statt auf die imperialistische Interessen notdürftig übertünchende moralisierende Staatsräson, auf eine ihrer einstigen Kerntugenden besinnen würden: den proletarischen Internationalismus.


  1. Ina Sembdner: Todesfalle Gaza, https://www.jungewelt.de/artikel/460729.krieg-in-nahost-todesfalle-gaza.html ↩︎
  2. Michael Lüders: Wir müssen an die Ursache des Problems herangehen, https://www.deutschlandfunk.de/angriff-auf-israel-interview-michael-lueders-nahostexperte-dlf-db47d7a0-100.html ↩︎
  3. Vgl. Hessenschau: Hessen will konsequent gegen anti-israelische Propaganda vorgehen, https://www.hessenschau.de/politik/hessen-will-konsequent-gegen-anti-israelische-propaganda-vorgehen-v3,anti-israelische-propaganda-100.html ↩︎
  4. Sevim Dagdelen: »Keine eigenen Erkenntnisse«, https://www.jungewelt.de/artikel/460156.ukraine-keine-eigenen-erkenntnisse.html
    vgl. Susann Witt-Stahl: Banderas weiße Weste, https://www.jungewelt.de/artikel/459881.ukraine-und-faschismus-banderas-wei%C3%9Fe-weste.html
    vgl.: Florian Warweg: Bundesregierung „ausdrücklich“ dagegen, die ukrainische OUN-B und Bandera als „antisemitisch“ zu bezeichnen, https://www.nachdenkseiten.de/?p=104774 ↩︎
  5. Susann Witt-Stahl: Zweierlei Aufarbeitung. Instrumentalisierung und Leugnung. Totale Zeitenwende für deutsche Kriegsinteressen, https://www.jungewelt.de/artikel/460965.geschichtsrevisionismus-zweierlei-aufarbeitung.html ↩︎